Sonntag, 17. Mai 2015

Todesfolter im Namen Ihrer Majestät

Ein Beitrag vom Blog kopfschuss911:

Wie Briten nach dem Zweiten Weltkrieg deutsche Gefangene quälten --- DER LETZTE ÜBERLEBENDE eines Verhörlagers erinnert sich


(AdR: MSM-Artikel — Auszüge)


Es sind furchtbare Erinnerungen. Der alte Mann legt behutsam seine Armbanduhr ab, schiebt den linken Hemdsärmel hoch und zeigt auf drei Narben direkt neben der Pulsschlagader. Langes Schweigen. „Ich war damals, 1946, ein junger Kerl, erst 23. Mensch, ich wollte nach diesem verdammten Krieg doch nur leben. Aber diese Hölle konnte ich nicht mehr ertragen.“

Gerhard Menzel, heute rüstige 89 Jahre alt, erinnert sich an die Nacht, als er sich in seiner Zelle mit einem Stück Metall den Unterarm aufritzte. Kurz zuvor hatte ihn der britische Gefängniswärter, Spitzname „Blutauge“, erneut mit eiskaltem Wasser übergossen — und dies bei Minustemperaturen im Raum. Ein harter Schlag in die Magengrube erstickte Menzels Protest.

Der frühere Ingenieur, der seinerzeit nur knapp vor dem Verbluten gerettet wurde, hat die erlittene Folter an Körper und Seele bis heute nicht verarbeitet. Aus Angst, erneut von einem Kommando verschleppt zu werden, trug er lange eine Pistole unter der Jacke. Jahrzehnte konnte Menzel nicht über die schlimmste Zeit seines Lebens sprechen — nicht mit seiner Ehefrau Theresia, nicht mit den drei Kindern. Auch Arbeitskollegen erfuhren nichts.

Was hätte er auch erzählen sollen? Wer hätte ihm schon geglaubt?


Menzel hatte ja in keinem Gestapo-Keller gelitten, er schmachtete auch in keinem sowjetischen Arbeitslager. Der junge Mann, 1923 in Radebeul bei Dresden geboren, saß vielmehr ein Jahr nach Kriegsende, mitten in Deutschland, in einem streng geheimen britischen Foltergefängnis, das so gut wie niemand kannte — bis heute ist das so.

Verhörzentrum Bad Nenndorf – Gebäudefassade des Wincklerbades

Im idyllischen Bad Nenndorf bei Hannover, vor dem Krieg eine Top- Adresse für betuchte Kurgäste, hatte der britische Geheimdienst im August 1945 unter größter Konspiration ein Verhörzentrum errichtet. Das 1930 erbaute Wincklerbad mit seinen zahlreichen Badezellen, in denen jetzt 20 Offiziere harte Vernehmungen durch­zogen, war ein Ort des Grauens.

Dutzende britische Geheimdienst-Akten, die FOCUS vor­liegen, beschreiben ein wahres Martyrium.

Häftlinge verhungerten, sie wurden zu Krüppeln geschlagen, ausgepeitscht, an den Handgelenken aufgehängt und mit glühenden Zigaretten verbrannt. Ein Gefangener kam bei einer dubiosen Agenten-Aktion ums Leben, andere brachten sich aus Verzweiflung um. Kein Außenstehender hätte sich jemals vorstellen können, dass die hochangesehene britische Armee zu diesem menschenverachtenden Regime fähig gewesen wäre.

Engländer, das waren in der Öffentlichkeit doch nette rothaarige Tommies aus Liverpool oder Birmingham und Gentlemen-Offiziere von der noblen Militärakademie Sandhurst. Die deutsche Politik verspürte zu keinem Zeitpunkt ein Interesse an einer seriösen Aufarbeitung der skandalösen Vorfälle — alle Signale standen nur auf Aussöhnung mit dem früheren Kriegsgegner.

Nach den Folterungen kam Gerhard Menzel in ein Lazarett bei Paderborn. Ein Arzt beschrieb ihn in einem medizinischen Bericht als „lebendes Skelett“.


Fünf Fotos von Gerhard Menzel, die FOCUS kürzlich im Britischen Nationalarchiv unter der Registratur-Nummer FO 1030/280 entdeckte, zeigen die schockierende Realität: Der junge Mann, 1,85 Meter groß, wog nur noch 49 Kilogramm. Er musste von zwei Männern gestützt werden und konnte vor lauter Schwäche nicht mehr sprechen. Ein Lagerarzt beschrieb Menzel in einem medizinischen Bericht als „lebendes Skelett“ – mit einer schweren Schädigung der Lunge. Die Ursache: die eiskalten Duschen von Knastwärter „Blutauge“.


Britischer Geheimdienst glaubte an Untergrundarmee der Nazis


Gerhard Menzel ist der letzte Überlebende des Verhörzentrums Bad Nenndorf. Er zählte zu den 372 Männern und 44 Frauen, die von britischen Greif­kommandos gefasst und eingekerkert worden waren.

Die meisten Zielpersonen entstammten der SS, der SA, der Gestapo oder der Abwehr, andere hatten leitende Funktionen in der NSDAP, in der Hitlerjugend oder im Bund Deutscher Mädel. Die Gefangenen Oswald Pohl, verantwortlich für die Zwangsarbeit in den deutschen Konzentrationslagern, und Kurt Parbel, enger Mitarbeiter von Joseph Goebbels, galten nach Kriegsende als brand­gefähr­liche Rädelsführer.

Diesen unverbesserlichen Nazis – so steht es in den Akten – trauten die Briten einen Putsch gegen die Besatzungsmacht zu. Termin: 1946, am 20. April – dem Geburtstag von Adolf Hitler.

Am 19. Juni 1946, als Gerhard Menzel in Hamburg auf offener Straße von britischen Agenten verschleppt wurde, war der Zweite Weltkrieg für den jungen Mann längst abgehakt. Staunend erfuhr er den Haftgrund: Er sei vorzeitig aus sowjetischer Gefangenschaft freigelassen und als angeworbener Moskauer Agent in die britische Besatzungszone geschickt worden. Später sollte sich herausstellen, dass Menzel denunziert worden war.

Der 89-Jährige lacht kurz auf. „Moskauer Spion? Ich war Nationalsozialist, schon mit sieben Jahren“, sagt er und schildert kurz seinen Werdegang.

„1930, wir waren arme Leute, wir hatten nichts zu futtern. Auf der Straße in Dresden haben wir Jungs einen offenbar hohen SA-Mann getroffen, haben mit Heil Hitler gegrüßt. Er hat gesagt, wir seien ja zackige Kerle, aber so dünn wie Bohnstangen. Also hat er uns Jungs jeden Tag in eine SA-Küche eingeladen, für die Eltern haben wir auch noch einen Henkelmann mit Suppe und Wurst mitgenommen. Mein Vater hat geschimpft, der war Sozialdemokrat. Aber Brecht hat doch schon gesagt: Erst kommt das Fressen und dann die Moral.“

Menzel wird für die NS-Eliteschule Napola ausgewählt, mit 17 Jahren tritt er der Waffen-SS bei und muss 1940 gleich in den Krieg. Nach einer Verletzung wird er Fahrlehrer und ergibt sich 1945 an der tschechisch-österreichischen Grenze den Amerikanern. Die lassen ihn gleich wieder laufen. Wenzel sucht sein Glück in Hamburg. Dort schnappen ihn dann die Agenten-Jäger des Geheimdienstes MI-5, der in diesen Tagen fest von einem weiteren Krieg gegen die Sowjetunion überzeugt ist.

1. August 1945, früh am Morgen. Britische Militärlaster donnern durch Bad Nenndorf. Ihr Ziel: der Kurpark. Bewaffnete Soldaten klopfen an den Türen der Anwohner und fordern sie auf, innerhalb von 90 Minuten die Häuser zu verlassen. Rund 1000 Einwohner sind von der Zwangsräumung betroffen.

Pioniere vom 5. Kings Regiment ziehen einen vier Meter hohen Stacheldrahtzaun um das zirka 25 Hektar große Kurgelände mit Badehaus, noblen Hotels und 87 Pensionen. Das ganze Areal ist ab sofort militärischer Sperrbezirk. Die britische Schreckens­herr­schaft in der Kleinstadt im Schaumburger Land beginnt.

Knastwärter „Heinrich VIII.“ zerrte Gefangene in die Folterzellen


Dass manche dieser Fakten historisch und politisch unerwünscht sind, hat Ian Cobain, preisgekrönter Reporter der englischen Tageszeitung „The Guardian“, mehrfach erfahren. Der Journalist, der bei aktuellen Recherchen über Folterungen der britischen Armee in Afghanistan und im Irak unverhofft auf erste Dossiers zu Bad Nenndorf gestoßen war, hat im November vergangenen Jahres ein Buch veröffentlicht: „Cruel Britannia“ beschreibt die in der Öffentlichkeit völlig unbekannte Tradition britischer Quälereien. Ein großer Teil der Londoner Presse schwieg Cobains Buch tot, Kollegen nannten ihn einen ehrlosen Gesellen, der das Militär beschädige.

Als Gerhard Menzel, Unterscharführer der Waffen-SS, im Juni 1946 in seine Zelle gestoßen wird, ist er sicher, dass sich der falsche Agenten-Verdacht sehr schnell aufklären wird. Erste Zweifel kommen ihm, als sich sein Zellenkollege vorstellt: Wladimir Denisov, Geheimdienst-Major der Roten Armee. Er wird es sein, der den Deutschen später vor dem Verbluten rettet.

Abartige Schmerzensschreie schon in der ersten Nacht. Die Verhöre im Wincklerbad gehen rund um die Uhr. Zwei besonders abgestumpfte Wärter, denen die Gefangenen die harmlos klingenden Spitznamen „Heinrich VIII.“ und „Land des Lächelns“ gegeben haben, zerren völlig erschöpfte Menschen in die Vernehmungszellen.


Zwei Männer müssen den von der Folter geschwächten Mann stützen.

Menzel erlebt eine Tortur. Tagelang lassen ihn die Aufpasser nicht schlafen. Wenn ihm die Augen zufallen, wird er gleich mit kaltem Wasser übergossen und geprügelt. 16 Tage lang trippelt er, die Hände auf dem Rücken gefesselt, durch die Zelle. Tagsüber, von 4.30 Uhr bis 21.30 Uhr, darf er sich nicht einmal setzen.

Der jüdische KZ-Überlebende Habermann wurde mit Folterwerkzeugen wie Daumen- und Schien­bein­schrauben gequält. Hans Habermann, damals 43, hat als deutscher Jude das Konzentrationslager Buchenwald überlebt. Zur Begrüßung schlagen ihm die Wärter in Bad Nenndorf die Zähne ein. Als wäre dies eine Entschuldigung, führt der Geheimdienst in den Akten an, Habermann sei Kommunist und damit potenzieller Spion.

Robert Graf Buttlar-Brandenfels, 27, der zwei Jahre Nazi-Haft überstanden hatte, musste bei den Engländern erneut leiden. Als angeblicher Ostspion verhaftet, stellten ihn die Folterer tagelang in eiskaltes Wasser. Alle Zehen seines rechten Fusses mussten amputiert werden. Fortan kroch der adlige Häftling auf Knien zu seinen Verhören. Aus Verzweiflung entschied er sich für eine in Bad Nenndorf gängige Selbstmordmethode: Er verschluckte einen Löffel, wurde jedoch gerettet.

In den Akten finden sich Hinweise darauf, dass Zellenwärter Scheinhinrichtungen organisierten. Die kriminellen Schließer konnten offenbar ihren Sadismus ausleben, ohne Bestrafungen befürchten zu müssen. So geschah es in der Silvesternacht 1946: Sturztrunken von Bier und Whiskey, stürmten die Schläger in mehrere Zellen und traten die Häftlinge gnadenlos zusammen. Eine Behandlung von offenen Wunden und Knochenbrüchen wurde ihnen verweigert, entzündete Zahnstummel bereiteten den Menschen Höllenqualen.

Colonel “Tin-Eye” Stephens
Verantwortlich dafür war der Leiter des Verhörzentrums Bad Nenndorf, Oberst Robin Stephens. Der Herr spielte gern den Edelmann: Stets ein Monokel im rechten Auge, sprach der damalige Mitvierziger voller Abscheu über „minderwertige deutsche Kreaturen“. Der Jurist hatte zuvor als Kommandant der Peshawar-Division unter der indischen Zivilbevölkerung Angst und Schrecken verbreitet.

Nicht ganz zu seinem aristokratischen Benehmen passte Stephens Vorliebe für einen einseitigen Boxkampf. Zeugen aus Bad Nenndorf berichteten, dass der Oberst entkräftete Häft­linge mit Kinnhaken bewusstlos geschlagen habe.

Gnade konnte offenbar niemand erwarten. Wenn Häftlinge zum Lagerarzt John Stuart Smith kamen und klagten, sie stünden kurz vor dem Verhungern, antwortete der Mediziner eiskalt: 

„Sie verhungern? Richtig, es sieht ganz so aus!“

Ein paar Todgeweihte ließ Oberst Stephens in die Militärlazarette Rotenburg bei Bremen und Eselheide bei Paderborn karren. Unter ihnen war auch der abgemagerte Gerhard Menzel. Der deutsche Arzt Wolfgang Günther schrieb in einem Vermerk, die kranken Häftlinge seien wie Müll vor dem Hospital abgekippt worden.

Der damals erst 22-jährige Walter Bergmann, knapp 40 Kilo leicht, fiel gleich in Ohnmacht. Der aufopferungsvolle Arzt Günther spendete seinem Patienten sogar das eigene Blut – auch dies konnte Bergmann nicht mehr retten.

Im Zimmer nebenan rang Franz Österreicher, 38, mit dem Hungertod. Seit Tagen raste sein Puls, er starb letztlich an einer Bauchfellentzündung.

Häftling Franz Nornack, 26, spuckte gerade Blut, als Major James Morgan-Jones, Kommandant eines Internierungslagers in Fallingbostel, über die Krankenstation ging und die elendigen Gestalten sah. In einer Geheimakte ist die Reaktion des früheren Frontoffiziers Morgan-Jones vermerkt: 

„Es war einer der schrecklichsten Anblicke meines Lebens.“

In Bad Nenndorf bekommt nun auch die Zivilbevölkerung das harte Regiment der Briten zu spüren. Eines Abends klopft ein Gefängnisausbrecher an der Tür der Familie Steinmeier im Erlengrund, nur 500 Meter von dem Lagerzaun entfernt. Der Mann bittet um Zivilkleidung. Das Schicksal des Flüchtlings ist unbekannt. Familienvater Steinmeier, ein Bergmann, wird am Tag danach von der Militärpolizei wegen Fluchthilfe verhaftet und zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Er kehrt todkrank zurück, stirbt bald.

Oberst Robin Stephens und sein Stellvertreter Richard Langham müssen sich im März 1948 in einem Geheimprozess für die in Bad Nenndorf begangenen Grausamkeiten verantworten. Beide Offiziere werden freigesprochen. Lagerarzt John Stuart Smith, der für hungernde Häftlinge nur zynische Sprüche übrig hatte, wird aus der Armee entlassen.

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FOLTERSTÄTTE IM KURPARK


Der britische Auslandsgeheimdienst MI-6 regte nach Kriegsende an, 275.000 Deutsche in Internierungslager einzusperren. Knapp 100.000 kamen schließlich hinter Stacheldraht. Bad Nenndorf war die Verhörzentrale. Hier sollten Pläne einer angeblichen Nazi-Verschwörung aufgedeckt werden.

Kurpark von Bad Nenndorf

Zwei Monate nach Kriegsende zog der britische Geheimdienst in das idyllische Bad Nenndorf. 1000 Anwohner mussten den Agenten weichen.


SPIONE AUF HAUSSUCHE


Britische Agenten hatten schon während des Kriegs geeignete Orte für ein Ver­hör­zentrum ausgekundschaftet. Die Wahl fiel auf Bad Nenndorf, 25 Kilometer entfernt von Hannover. Am 1. August 1945 wurde der 25 Hektar große Kurpark mit Sanatorium und Hotels eingezäunt. 1000 Anwohner mussten ihre Häuser und Wohnungen verlassen. Die Straßen hießen nunmehr George Street, Ham Avenue, Latimer Lane und Elizabeth Street.

SPITZEL IRRTÜMLICH GETÖTET


Im Januar 1947, spät in der Nacht, bekam der Bad Nenndorfer Bestatter Fritz Sander einen Spezialauftrag vom englischen Kommandanten Robin Stephens. Sander solle gleich am nächsten Morgen den urplötzlich verstorbenen englischen Unteroffizier John White begraben. So geschah es, mit militärischen Ehren. In Wirklichkeit wurde aber nicht White, sondern der SS-Mann Abeling ins Grab gelassen. Stephens wollte mit dieser Aktion vertuschen, dass Abeling alias White bei der Festnahme erschlagen worden war. Damit hatten die Engländer den US-Geheimdienst stark verärgert. Abeling, beteiligt an der Niederschlagung des Aufstands im Warschauer Ghetto, sollte für die Amerikaner leitende Nationalsozialisten ausspionieren.

DAS FALSCHE GRAB


FOCUS fand das ominöse Grab auf dem Soldatenfriedhof Bad Nenndorf. Bis heute steht auf dem Grabstein der falsche Name: John White, geboren am 1.8.1911, gestorben am 17.1.1947.


London Cage

Der London Cage (engl. „Londoner Käfig“) war ein in den Häusern Kensington Palace Gardens 6-8, London, zwischen Juli 1940 und September 1948 bestehendes Verhörzentrum der Sektion MI19 (Combined Services Detailed Interrogation Centre (CSDIC)) des britischen War Office.


Es diente dazu, Informationen von Zivilisten und Militärs des Zweiten Weltkrieges aus NS-Deutschland mittels Folter zu erlangen. Diese Aktivitäten wurden 2005 infolge des Freedom of Information Act öffentlich, als The Guardian die Akten der National Archives (ehemals Public Record Office) einsah. […]

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Quellen:

FOCUS Online – Nachrichten
FOCUS – Folterstätte im Kurpark
Wikipedia.org/wiki/London_Cage

BildQuelle:
Badnenndorf2013.trauermarsch.info

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